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bleiben. Ich lehne mich mit hochgezogenen Augenbrauen an den
Rahmen der Wintergartentür. Lawrence setzt sich hastig auf und
verharrt sekundenlang wie ein Hirsch im Scheinwerferlicht.
»Mit mir«, sagt er. »Ein Dialog aus einem Stück, das die Theater-
AG im Herbst aufführen will.«
»Was für ein Stück?«, frage ich.
»Ist wirklich nicht wichtig«, antwortet Lawrence mit einem
scharfen Seufzer.
»Wieso? Ich hab doch bloß gefragt.« Wow, Lawrence  wird so
schlimm nicht gewesen sein.
»Nein, nein, ich meine damit nicht, dass du nervst. Einfach &
ach, ich weiß nicht. Vergiss es.«
»Äh & okay«, sage ich. Dann geht mir auf, dass ich meine
Getränkedose in der Küche stehengelassen habe, und mit einem
wachsamen Blick zu Lawrence hin drehe ich mich um, um sie zu
holen. Ich glaube wirklich, er sollte sich den Espresso nach
Ladenschluss wieder abgewöhnen.
»Viola.«
Ich bleibe stehen. Die Stimme, die gerade meinen Namen ausge-
sprochen hat, gehört nicht zu Lawrence. Ich fahre herum.
Ein Junge mit goldfarbenener Haut steht neben dem Sofa, auf
dem Lawrence sitzt. Er hat lockiges schwarzes Haar, so dunkel,
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dass es mich an den Nachthimmel erinnert, und trägt eine dunkel-
blaue Jacke, die links auf der Brust mit einem verschnörkelten I be-
stickt ist. Mit einer Hand umklammert er einen Strauß Rosen, von
denen jede einzelne eine andere Farbe hat  Rot, Dunkelrosa,
Pfirsich, Koralle, Gelb, Blasslila und dann noch mehrere Farben,
von denen ich gar nicht gewusst habe, dass es sie bei Rosen über-
haupt gibt. Lawrence lächelt dem Jungen zu, bevor er aufsteht und
sich neben ihn stellt.
Wann ist der eigentlich hier reingekommen?
Der Junge legt den Rosenstrauß auf einem Tischchen ab. Er hat
ihn so fest umklammert, dass die Blätter am unteren Ende ganz
zerdrückt sind.
»Lawrence? Willst du mich nicht vorstellen?«, frage ich.
Die Art, wie der Junge mich anstarrt, mit dunklen, auf mir
ruhenden Augen, ist eine Spur verstörend. Fremde sollten nicht so
starren. Der Junge macht einen Schritt auf mich zu. Sofort mache
ich einen Schritt rückwärts. Irgendwie bringt er es fertig, dass mir
ganz anders wird, aber es hat mehr von Schmetterlingen im Bauch
als von echter Furcht.
»Kennst du ihn denn nicht?«, fragt Lawrence vorsichtig. »Sieh
noch mal hin.«
Worauf will er eigentlich raus? Ich betrachte den Jungen noch
ein paar Sekunden lang. Ich sehe etwas Sanftes in seinen Augen, et-
was, das mich vielleicht zum Lächeln bringen würde, wenn ich von
der ganzen Situation nicht so verwirrt wäre. Nur einer Sache bin ich
mir vollkommen sicher  ich kenne ihn nicht.
»Hast du den Verstand verloren?«, frage ich Lawrence, während
ich den Blick von dem Fremden losreiße.
»Ich weiß schon, dass ich mich leicht verrückt anhöre, aber hör
mir einfach nur zu, in Ordnung?«, antwortet Lawrence. »Denk
nach. Denk mal scharf nach, Vi. Ans Malen und wie du mit Aaron
zusammen warst und an diesen Jahrmarkt auf dem Parkplatz
und & das Marshmallowspiel, das wir manchmal spielen. Bist du
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dir wirklich sicher, dass du den Typen hier nicht doch schon
kennst?«
Schön. Ich versuche mich auf Lawrences Worte zu konzentrieren.
Malen, Aaron, Jahrmarkt, das Marshmallowspiel. Nichts von
alldem hat irgendwas mit diesem Jungen zu tun, der mich inzwis-
chen so bohrend anstarrt, dass ich unwillkürlich die Arme vor der
Brust verschränke.
»Nein«, sage ich, als ich mir vollkommen sicher bin, dass das
Gesicht des Jungen in meinem Gedächtnis nicht gespeichert ist.
»Du bist dir da ganz sicher.«
»Ja.«
»Schon in Ordnung«, sagt der Junge zu mir, bevor Lawrence den
Mund aufmachen kann.
Mein bester Freund schüttelt den Kopf und seufzt. Der Junge
zeigt mit der Hand zu den Rosen hin. »Die da sind für dich. Ich
werd sie einfach & hier liegen lassen«, sagt er, während er sie be-
hutsam berührt. Er lässt die Hand sekundenlang auf ihnen liegen,
und seine Fingerspitzen berühren eine blaue Rose. Sein Gesicht-
sausdruck hat etwas Festes, als zwinge er sich dazu, seine Gefühle
zu unterdrücken. Dann tritt er zurück und wendet sich ab, um den
Wintergarten durch die Tür zu verlassen, die am weitesten von mir
entfernt ist.
»Warte, sag mir doch einfach, wer du bist!«, rufe ich hinter ihm
her. Was soll die ganze Heimlichtuerei eigentlich? »Ich weiß nicht,
was daran so schwer sein soll. Ich wünschte, du würdest mir ein-
fach antworten!« Ich werfe die Hände hoch und mache Anstalten,
in die Küche zurückzukehren. Typen!
Ich höre, wie der Junge tief Luft holt, dann stößt er ein halb-
herziges Lachen aus, als ich bereits den Flur entlanggehe.
»Wie du wünschst«, murmelt er.
Ich drehe mich um.
Das kenne ich. Etwas daran kenne ich.
Ich kehre zur Wintergartentür zurück. Der Junge steht immer
noch am anderen Ende des Raums. Mein Blick fliegt zu Lawrence
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hinüber, der mich mit einem hoffnungsvollen Schimmer in den Au-
gen beobachtet.
»Das kenne ich«, sage ich. »Den Spruch schon, dich nicht. Aber
irgendwas kommt mir bekannt vor.« Ich mache einen Schritt in den
Wintergarten, und der Duft von Honig und Gewürzen umgibt mich.
»Ich kenne das alles«, murmele ich. Irgendetwas Seltsames ist hier
im Gang, und es ist, als hätten Lawrence und dieser Fremde Erin-
nerungen an die Oberfläche gezerrt, die versteckt waren, ver-
schleiert, wie die Erinnerung an einen Traum. Je mehr Mühe ich
mir gebe, mich zu erinnern, desto ungreifbarer wird die
Erinnerung.
»Ich kenne & « Meine Stimme zittert etwas vor Verwirrung.
Lawrences Blick schießt zwischen dem Jungen und mir hin und
her. »Ich kenne & Caliban. Irgendwas namens Caliban.« Caliban?
Was ist ein Caliban? Warum kann ich mich eigentlich nicht
erinnern?
»Ja«, sagt der Junge atemlos und kommt ein paar Schritte näher.
»Und & « Da ist noch etwas. Da ist noch mehr  was ist es?
»Und & der Jahrmarkt. Und Lawrence und ich, unser Lagerfeuer
vor ein paar Wochen. Ich würde fast sagen, du warst da & «
»Ja.« Er macht noch einen Schritt. Ich bleibe, wo ich bin.
»Und & « Ich zögere.
»Da ist noch mehr«, sagt der Junge.
»Das war s. Das ist alles, woran ich mich erinnere«, antworte ich
kopfschüttelnd. Ich blicke auf den Rosenstrauß hinunter, der im-
mer noch auf dem Tischchen liegt. Als ich wieder aufsehe, stelle ich
fest, dass die Augen des Jungen mit unfassbarer Intensität auf mich
gerichtet sind. Es sind seltsame Augen, fast wie die eines Tieres 
eines Hirschs oder Wolfs vielleicht. Er streckt mir eine Hand entge-
gen, die Handfläche nach oben gedreht.
»Das ist alles, woran ich mich erinnere«, wiederhole ich, aber
meine Stimme ist inzwischen zu einem Flüstern geworden. Da ist
noch mehr, ich weiß genau, dass da noch mehr ist, nur komme ich
einfach nicht dran. Ich betrachte die Hand des Jungen und stelle
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fest, dass meine eigene Hand sich hebt, ohne dass ich es vorgehabt
hätte. Der Junge beobachtet erwartungsvoll, wie meine Finger sich
seinen nähern.
Ich kenne ihn nicht.
Meine Hand berührt die seine. Er schließt die Finger um meine
und kommt einen Schritt näher. Warum tue ich das? Ich kenne ihn
nicht. Er sieht hinunter in meine Augen, als lese er etwas von der
Hinterseite meiner Iris ab. Dann greift er mit der freien Hand nach
meiner anderen Hand. [ Pobierz całość w formacie PDF ]

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